300 Jahre Charité – Die Berliner Charité und das MfS – 14. Oktober 2010, 14 Uhr
Begrüßung: Karin Seidel-Kalmutzki, Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin
Die Berliner Charité stand als führende medizinische Einrichtung der DDR unter besonderer Beobachtung durch die Staatssicherheit, auch wegen ihrer Lage nahe der Berliner Mauer. Lehre und Forschung, Personal und Patienten wurden intensiv überwacht, nicht Wenige waren Repressionen ausgesetzt. Wie stellte sich die Charité nach 1989 dieser Vergangenheit?
Der Workshop aus Anlass der Ausstellung „Die Charité zwischen Ost und West – Zeitzeugen erinnern sich“ wird von Ingo Kahle (rbb) moderiert.
Grußwort zum Workshop „300 Jahre Charité – Die Berliner Charité und das MfS“
am 14. Oktober 2010, 14 Uhr, im Abgeordnetenhaus von Berlin
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich heiße Sie herzlich im Abgeordnetenhaus von Berlin willkommen und freue mich, dass die Ausstellung „Die Charité zwischen Ost und West – Zeitzeugen erinnern sich“ auf so breites Interesse gestoßen ist. Zahlreiche Besucherinnen und Besucher aus ganz Deutschland sind in den vergangenen Wochen hierher gekommen – unter ihnen viele ehemalige Ärzte und Mitarbeiter der Charité – um diese außergewöhnliche Ausstellung zu sehen und auch zu hören. Um das Gesehene und Gehörte zu vertiefen, um über Erfahrungen zu reden, um Fragen zu stellen oder um Antworten zu bekommen, findet heute – in Ergänzung zur Ausstellung – dieser Workshop hier im Abgeordnetenhaus statt.
Besonders herzlich begrüße ich die Vertreter der Charité und Herrn Altendorf, den Direktor der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Ebenso begrüße ich alle Rednerinnen und Redner des heutigen Tages und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Podium.
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Jahr 2010 ist für die Berliner Wissenschaftslandschaft ein bedeutendes Jahr. 300 Jahre Wissenschaft in Berlin stehen auch für 300 Jahre traditionsreiche Geschichte der Charité.
Doch auch dieses Gebäude – der ehemalige Preußische Landtag und heutige Sitz des Berliner Landesparlaments hat den Lauf der Geschichte zu spüren bekommen.
Seit seinem Entstehen im Jahre 1899 spiegelt dieses Haus mit seinen unterschiedlichen Nutzungen die Brüche und Widersprüche der deutschen Geschichte der vergangenen 111 Jahre wieder.
So stritt Rudolf Virchow hier, als Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses in den letzten
drei Jahren seiner langjährigen, parlamentarischen Tätigkeit für den Ausbau der öffentlichen Sozialfürsorge. Für den kämpferischen Politiker Virchow stellte dieses Parlament ein wichtiges Forum seines persönlichen und politischen Wirkens dar. Als eine der ersten europäischen Großstädte erhielt Berlin auf seine Initiative eine Kanalisation mit zentraler Wasserver- und –entsorgung.
Bedeutende Entwicklungen vollzogen sich schließlich nach der Entscheidung des Ersten Reichskongresses der Arbeiter und Soldatenräte im Dezember 1918. In diesem Haus wurden die Weichen für die erste deutsche Demokratie, die „Weimarer Republik“ gestellt. Ein Umstand, der bei vielen bis heute kaum bekannt ist.
Und von 1921 bis 1933 tagte in diesem Haus der frei gewählte Preußische Landtag.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde das Gebäude aber auch für die Zwecke der braunen Machthaber missbraucht und als sog. „Haus der Flieger“ genutzt.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Wiederaufbau des stark beschädigten Gebäudes war hier für vier Jahre – von 1949 bis 1953 – die erste Regierung der DDR untergebracht.
Mit der Teilung Berlin ab 1948 stand dieses Haus für die folgenden Jahrzehnte unmittelbar an der ehemaligen Sektorengrenze zu West-Berlin und geriet im Laufe der Zeit mehr und mehr in Vergessenheit.
Auch der Standort der Charité lag nach der politischen Spaltung der Stadt an der Sektorengrenze zu West-Berlin.
Beide Häuser wurden durch die Teilung zu „Grenzobjekten“ und gerieten in den Fokus der Staatssicherheit.
Der Bau der Mauer am 13. August 1961 vertiefte baulich, vor allem aber für die Menschen auf beiden Seiten, auf furchtbare Weise die Teilung der Millionenstadt.
Die Auswirkungen für dieses nunmehr unmittelbar an der Mauer stehende Gebäude waren deutlich spürbar.
Die Stasi bemächtigte sich der oberen Geschosse und nutzte fortan den ehemaligen Preußischen Landtag als Abhörstandort Richtung West-Berlin. In den unteren Etagen wurde die Staatliche Plankommission der DDR untergebracht.
Nicht zuletzt wegen dieser Nutzung durch das Ministerium für Staatssicherheit wurde das Projekt, den ehemaligen Festsaal des Hauses als Museum für den Gründungsort der KPD im Dezember 1918 auszubauen, fallen gelassen. Da half auch kein Beschluss des Zentralkomitees der SED.
Die Öffentlichkeit sollte vom Grenzgebiet und den Abhöranlagen ferngehalten werden und eine ständige, öffentlich zugängliche Ausstellung von der Staatssicherheit war demzufolge unerwünscht.
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Ministerium für Staatssicherheit war innenpolitisch vor allem ein Unterdrückungs- und Überwachungs-instrument gegenüber der eigenen Bevölkerung und diente dem Machterhalt der SED.
Überwachung, Einschüchterung und die sogenannte „Zersetzung“ von Oppositionellen und Regimekritikern waren an der Tagesordnung.
Die perfidesten Formen der Repression und der Ausspähung wurden angewandt, um Menschen und ihre Schicksale zu manipulieren und hierfür wurde ein weitverzweigtes Netz von Informanten im Interesse des sog. „Schwertes und Schildes“ der Partei geknüpft.
Und meine Damen und Herren, seien Sie sicher, die, die hier vor Ihnen steht weiß aus eigener Anschauung nur zu genau, was es bedeutete, in den Fokus der Stasi zu geraten.
Meine Damen und Herren,
auch heute, 20 Jahre nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung, ist die Teilung der Stadt für manche noch gegenwärtig, doch für viele, gerade unter der jüngeren Generation, ist sie kaum vorstellbar, für sie ist Berlin eine Stadt, ihre Stadt.
Und heute ist es für viele fast schon eine Selbstver-
ständlichkeit, dass das frei gewählte Parlament aller Berlinerinnen und Berliner seit 1993 in diesem historischen Gebäude seinen Sitz hat.
Ebenso hat sich in dieser Zeit auch das Gesicht der Charité gewandelt.
Die wechselvolle Geschichte dieses Hauses aber auch der Charité zeigen, welchen Einfluss politische Entwicklungen hatten und auch noch haben.
Ich freue mich deshalb ganz besonders, dass die hier gezeigte Zeitzeugenausstellung der Charité sich auch diesem politischen Einfluss widmet und einen Einblick in die Geschichte der Charité von 1945 bis 1992 gewährt. Die zahlreichen Tondokumente versuchen, ein möglichst umfassendes Bild dieser Zeit wiederzugeben. Diese historische Aufarbeitung stellt schließlich auch die Grundlage für das weitere Wirken der Charité in der Zukunft dar.
Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, dass Sie sich mit dem heutigen Workshop dem Thema „Die Berliner Charité und das MfS“ widmen.
Ich wünsche Ihrer Veranstaltung einen guten und interessanten Verlauf und übergebe nun das Wort an Herrn Professor Schnalke.
Nochmals herzlich willkommen im Abgeordnetenhaus.
Materialien zum Thema
Quelle: Landespressedienst vom 13.10.2010
Hinterlassen Sie einen Kommentar
Wollen Sie an der Diskussion teilnehmen?Feel free to contribute!