Gedenkworte zum 20. Jahrestag der ersten freien Kommunalwahlen in Ost-Berlin 1990
Gedenkworte der Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin
Karin Seidel-Kalmutzki
zum 20. Jahrestag der ersten freien Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung in Ost-Berlin am 6. Mai 1990 (zu Beginn der Plenarsitzung am 6. Mai 2010)
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
vor zwanzig Jahren, am 6. Mai 1990, bestimmten die Berlinerinnen und Berliner im Ostteil der Stadt erstmals wieder in freien, geheimen und gleichen Wahlen ihr Parlament, die Stadtverordnetenversammlung.
Mit der ersten freien Wahl der Stadtverordnetenversammlung nach dem Ende der SED-Herrschaft legten die Ost-Berlinerinnen und Ost-Berliner am 6. Mai 1990 ein klares Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie ab. Der Termin war zur Erinnerung an die letzte Kommunalwahl in der DDR am 7. Mai 1989 gewählt worden. Bei dieser letzten Einheitslistenwahl hatten mutige Frauen und Männer durch ihre Anwesenheit in den Wahllokalen und durch Zählen der Stimmen nachgewiesen, dass die Wahlen massiv gefälscht worden waren. Das war ein Signal zum Aufbruch in die friedliche Revolution.
Die ersten freien Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung von Ost-Berlin nach dem Ende der SED-Herrschaft waren ein Meilenstein auf dem Weg zur Einheit unserer Stadt. Die Berlinerinnen und Berliner im Ostteil schafften bei dieser Wahl die Voraussetzungen für die Bildung einer Berliner Doppelspitze aus einem demokratisch legitimierten Magistrat und dem Senat, die in die Geschichte der Stadt als der „Maggi-Senat“ einging. Am 30. Mai 1990 nahm in Ost-Berlin der von der Stadtverordnetenversammlung demokratisch gewählte Magistrat seine Arbeit auf. In der Folgezeit wurde die Verwaltung in den beiden Stadthälften angeglichen und auch die beiden Parlamente – Abgeordnetenhaus und Stadtverordnetenversammlung – arbeiteten parallel und doch zusammen.
Was die überwiegend neu gewählten Ost-Berliner Stadtverordneten einzubringen hatten, erfüllte alle mit Selbstbewusstsein und Stolz: die Kraft und die Energie einer erfolgreichen und friedlichen Revolution. Das System der DDR war endgültig zusammengebrochen. Der friedliche Protest hatte die Stasi, die Mauer und die SED besiegt. Überall in der DDR wollten Bürgerinnen und Bürger sich nicht mehr der Diktatur fügen. Sie wollten die Freiheit, die für die westliche Welt ganz selbstverständlich war. Sie wollten eine andere Gesellschaftsordnung.
Die Zusammenarbeit der Abgeordneten im Ostteil und der im Westteil war von Anfang an produktiv. Es war schon bei der Wahl klar, dass die Einheit Deutschlands und Berlins kommen würde. Die beiden Parlamente haben sich, um die schwierige Aufgabe des Zusammenwachsens der beiden Stadthälften besser bewältigen zu können, abgestimmt und gemeinsam gehandelt. Vorerst ging es für die Stadtverordnetenversammlung darum, die demokratischen Verhältnisse auch rechtlich und in die Praxis der neuen Stadtregierung einzuführen.
Der verstorbene unvergessene Oberbürgermeister in Ost-Berlin, Tino Antoni Schwierzina, die damalige Präsidentin der Stadtverordnetenversammlung, Dr. Christine Bergmann, und alle Fraktionen waren sich in dem Ziel einig: Die errungene Freiheit und die Demokratie sollten so schnell wie möglich umgesetzt und die Einheit vorbereitet werden. Tino Schwierzina wollte sein Amt so schnell wie möglich überflüssig machen, wie er selbst sagte, zugunsten nur eines Regierenden Bürgermeisters für die ganze Stadt Berlin.
Die Bürger des Ostteils Berlins und der DDR hatten schon am 18. März 1990 ihre Entscheidung mit der Wahl zur neuen Volkskammer eindeutig getroffen. Aber die Kommunalwahlen vom 6. Mai 1990 brachten eindrucksvoll die Bestätigung und Bekräftigung dieses Weges zu Demokratie und Freiheit und zur Einheit Deutschlands.
Mit 22 Sitzungen in rund sechs Monaten legte sich die Stadtverordnetenversammlung ein sehr großes Pensum auf. Angesichts der schier erdrückenden Fülle von Aufgaben, die in dieser Umbruchszeit zu erfüllen waren, gab es tatkräftige Verwaltungshilfe aus dem Westteil der Stadt. Auch unsere Abgeordnetenhausverwaltung war mit ihren engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Aufbauhelfer Ost beteiligt.
Die größte Leistung der neugewählten Stadtverordnetenversammlung war eine eigene, sehr soziale und liberale Verfassung für Ost-Berlin. Das war ein wichtiger emanzipatorischer Prozess, der im Angesicht der zu erwartenden Einheit bewusst als Akt der Selbstverständigungen angepackt wurde. Die an die alte Berliner Landesverfassung von 1951 angelehnte Verfassung war doch eine eigenständige Schöpfung in kurzer Zeit. Eine großartige Leistung, die unsere heutige gemeinsame Verfassung für das geeinte Berlin an vielen Stellen entscheidend beeinflusst hat. Das war der Erneuerungsschub, den die Stadtverordnetenversammlung 1990/1991 in die staatsrechtliche Vereinigung einbrachte. Das war die Basis dafür, dass später beide Seiten die Einheit Berlins von gleich zu gleich, eben auf gleicher Augenhöhe gestalten konnten, so wie es in Berlin von beiden Seiten von vornherein beabsichtigt war.
Heute nach 20 Jahren erscheint uns die Einheit Berlins ganz selbstverständlich. Trotzdem ist es wichtig, dass wir die bedeutenden Tage in der Geschichte unseres Landes markieren und uns – wie am heutigen Tag – in Berlin an das Ereignis dieser besonderen Kommunalwahl erinnern.
Natürlich ist der langsame und mühevolle Prozess des geduldigen Aufeinanderzugehens und des Zusammenwachsens von Ost und West noch nicht zu einem Abschluss gekommen. Darüber hinaus müssen neue Herausforderungen bewältigt werden, denen wir uns zu stellen haben. Viele Namen der damaligen Ostberliner Stadtverordneten sind uns bekannt geblieben. Einige sitzen heute unter uns: Frau Senatorin Carola Bluhm, der Abg. Wolfgang Brauer, der Abg. Ralf Hillenberg, die Abg. Martina Michels, der Abg. Peter-Rudolf Zotl. Sie sind Elemente der Kontinuität der Entwicklung unserer Stadt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
der kurze Rückblick auf unsere Geschichte zeigt, dass der 6. Mai 1990 ein Tag des Triumphes von Demokratie und Freiheit war. Wenn wir uns an die Leistungen der demokratischen Stadtverordnetenversammlung erinnern, haben wir allen Grund, für die Zukunft optimistisch zu sein.
In diesem Sinne: Packen wir es an!
Ich danke Ihnen.
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